Normalerweise schreibe ich über die alltäglichen Dinge des Lebens. Diesmal nicht.  Heute schreibe ich über Schnee! Ja, ich weiss: In der Schweiz immer noch ein alljährliches Vorkommnis. Aber er ist seltener geworden, sowieso im Flachland. Schneemengen, wie wir sie in den letzten zwei Tagen erlebt haben, gibt es offenbar nur alle 20 Jahre!

Und der Schnee macht etwas mit uns. Meine Freude verhält sich proportional zu der Schneemenge. Ich verspürte Freude, als ich knirschend durch die fast kniehohe, unberührte Schneedecke stapfte und ich trotz eines Tempos von 0-3 kmh in den Kardio-Trainingsbereich kam. Freude, als ich einem Fremden half, das Auto anzuschieben, weil am Hügel seine Räder durchdrehten. Freude, als ich mit den Kindern das wohl friedlichste und spassigste Kriegsspiel überhaupt spielte:  Die Schneeballschlacht.

Hier möchte ich anmerken, dass es durchaus sehr unfriedliche Schneeballschlachten gibt. Nämlich diejenigen, bei denen die Buben mit blutten Händen die Schneebälle zu Eiskugeln werden lassen und sie dann den Mädchen um die Ohren knallen. Damals wurde für uns Mädchen aus Frieden Krieg und ich kletterte wutrasend über unseren Schutzwall und stürmte die Bastion der Jungs! Was im Film untermalt mit heroischer Musik und in Slow Motion sehr eindrücklich scheinen würde, endete in der Realität damit, dass mich die Buben übermannten und mit Schnee einrieben. Da die anderen Mädchen nicht mitgezogen waren in den Kampf, konnte ich auch nicht den Heldentod Winkelrieds sterben. Trotz der anfänglichen Schmach fühlte ich mich lebendig und frei – zumindest nachdem sie mich wieder freigelassen hatten.

Aber das war damals. Heute sind die Kinder nicht mehr so gemein. Jedenfalls nicht zu mir. Denn ich bin erwachsen. Und der Schnee war heute trocken und konnte nicht einfach zu Eis gewandelt werden. So konnte ich mich unbeschwert auf eine Schneeballschlacht gegen die Nachbarskinder einlassen und das Lachen hätte weit durch Häuser und Felder geschallt, wenn Schnee nicht jedes Geräusch schlucken würde.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Der Schnee macht etwas mit uns. Ich wurde heute zum Kind, als ich mich jauchzend in den Schnee fallen liess, um einen Schneeengel zu formen. Mein Hintern war danach kalt, aber mein Herz war warm. Ich wurde zum Kind, als ich Schnee von den Ästen pflückte und mir genüsslich im Mund zergehen liess. Mit dem Unterschied, dass ich meinen Schnee eben von hohen Ästen nahm, während Kinder auch gerne das Risiko von Hunde-Bisi und Salzstrasse auf sich nehmen. Ich verspürte Freude, als ich den Besen vor der Haustür für das Fegen meiner schneegeschwängerten Jeans benutzte statt zum Schmutz aufkehren. Denn, als ich zum Haus rausging, konnte ich ja noch nicht ahnen, dass ich zum Kind werden würde und mir besser die Skihose angezogen hätte.

Ja, der Schnee macht etwas mit uns. Der Schnee packt die Welt in Watte und das fühlt sich tröstlich an, versöhnlich, ruhig. Er lässt uns jünger fühlen, unbeschwerter. So jung und unbeschwert, dass ich auf dem Schneespaziergang das Gefühl hatte, alle Hindernisse überwinden zu können. Zum Beispiel den vom schweren Schnee gefällten Baum, der den Pfad versperrte. Die Spuren deuteten darauf hin, dass andere umgekehrt waren. Nicht ich. Ich fing an, über den Baum zu klettern. Triumphierend, wie damals über den Wall der Bastion der Eisbälle werfenden Buben. Nichts konnte mich aufhalten!

Fünf Minuten später war ich immer noch auf derselben Seite des Baums. Schnee in Hals, Handschuhen und Schuhen. Ich kehrte um, wie die anderen vor mir. Diese Schlacht hatte ich verloren. Doch ich fühlte keine Schmach. Ich fühlte mich lebendig und frei. Ja, der Schnee macht etwas mit uns!