Die Australier brüsten sich damit, im lebensabweisendsten und toxischsten Land der Welt zu (über)leben. Wirst du nicht durch das Gift von Spinnen, Schlangen, Quallen, Steinfischen oder Oktopussen getötet, fressen dich Haie oder Krokodile. Reicht dir das noch nicht, kannst du auch gerne mal die Australische Brennessel (Baum) streicheln und unsägliche Qualen leiden, im Outback verdursten, weil du zu wenig Benzin getankt hast oder du lässt dich einfach von einem Känguru in den Bauch kicken und verblutest innerlich. So erzählt es jeder Australienrückkehrer mit verschwörerisch-fasziniertem Gruseln seinen in Schweizer Watte gepackten Daheimgebliebenen.

Ich habe in beiden Ländern gelebt und ich behaupte: Die Schweiz ist gefährlicher.

Viele werden jetzt denken: «Das Gefährlichste, was die Schweiz zu bieten hat, ist der Stadtzürcher Velofahrer.» Genau das war mein Gedanke, der mich zu meiner gewagten Behauptung verleitete. Leider entlastet die Statistik die Velofahrer. Die Fussgänger – welche in meinen Augen übrigens ihrerseits zumindest in der Bahnhofstrasse eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen – können sich also beruhigt auf Zürichs Strassen wagen. Aber selbst mit dem Wegfall des Faktors Velofahrer werde ich beweisen, dass die Schweiz gefährlicher ist als Australien. Schauen wir in die Statistiken:

Fünf der zehn giftigsten Pflanzen der Welt sind hier heimisch; darunter der Eisenhut, die Tollkirsche und der gefleckte Schierling. Ausserdem bieten wir Knollenblätterpilz, Kreuzotter, Aspisviper, Dornfingerspinne, Kreuzspinne und sogar Skorpione. Wie Australien mit seinem Platypus (Schnabeltier) haben auch wir ein giftiges Säugetier: Die Wasserspitzmaus.

In your face, Australia! Mit Fauna und Flora können wir allemal mithalten, zumal dank Antiseren weltweit nur noch alle paar Jahrzehnte jemand an den Folgen eines Spinnenbisses stirbt. Immerhin werden auch in der Schweiz jährlich ein paar Leute wegen Spinnenbissen behandelt – so etwa 7. Im Vergleich zu der Anzahl Leuten, die sich jährlich verletzen, weil sie über Katzen stolpern, ist dies zugegeben eine kleine Zahl. Dem gegenüber stehen 1’000 Spinnenbisse in Down Under. Da aber wie gesagt niemand mehr an Spinnen stirbt, mag das Land zwar schmerzhafter sein, aber nicht tödlicher. Wie oft Australier über ihre Katzen stolpern habe ich nicht herausgefunden, nur, dass sie prozentual weniger Katzen haben und somit anzunehmen ist, dass die Verletzungsgefahr geringer ist und dies relativiert die Spinnenverletzungen.

Betrachten wir ein weiteres gefürchtetes Tier: Die Schlange. In der Schweiz ist zuletzt jemand 1960 an einem Schlangenbiss verstorben. Australien gewinnt hier also mit etwa 3 Schlangenbiss-Toten pro Jahr. ABER: Im Vergleich zu Insekten fallen Schlangen gar nicht so ins Gewicht. Insekten bringen nämlich in Australien doppelt so viele Leute ins Spital und gleich viele Leute um wie Schlangen. Im Alpenland fordern Insektenstiche hochgerechnet auf vergleichbare Bevölkerungszahlen drei- bis viermal mehr Todesopfer als auf dem roten Kontinent. Zusammengerechnet schlagen unsere Insekten also die Insekten-/Schlangen-Kombo Down Under!

Eigentlich könnten wir hier gleich abbrechen. Bei meinen Nachforschungen habe ich nämlich relativ schnell festgestellt: In beiden Ländern fürchten wir uns vor den falschen Dingen! Insekten sind zwar die tödlichsten Tiere der Schweiz. Sie verursachen 3 bis 4 Todesfälle pro Jahr. Der Mensch schafft es aber, im selben Zeitraum 50 seiner Mitmenschen zu töten. Absichtlich. Nehmen wir die Selbsttötungen dazu, sind wir bei rund 1’000, und durch Verkehrsunfälle kommen nochmal 200 Menschen dazu.

Der Mensch schafft es also auch ganz gut, ohne giftige und bissige Tierwelt zu sterben. So musst du dich in der Schweiz eher vor Jägern als vor Hunden fürchten. Seit 1995 sind zwar mindestens 4 Personen durch Hunde zu Tode gekommen (eine Frau nicht durch einen Biss, sondern weil sie ertrank, nachdem sie auf der Flucht vor einem Dobermann in die Limmat gesprungen war), in derselben Zeit gab es aber über 70 tödliche Jagdunfälle.

Wer uns kennt, hätte selbst draufkommen können, dass der Mensch um ein Mehrfaches gefährlicher ist als alle Tiere zusammen. Dies gilt sowohl für die Schweiz als auch für Australien. Ich hätte mir das stundenlange Studieren von Statistiken ersparen können. «Die Tiere sind ja aber nicht das Einzige. Was ist denn mit der Pflanzenwelt?», fragt ihr mich mit hoffnungsvoll gruseligem Interesse, noch nicht ganz bereit, den Vergleich abzubrechen. «Gewinnt denn nun die Australische Brennnessel oder der Knollenblätterpilz?» Ich muss euch enttäuschen, auch hier sind wir der Natur wieder weit voraus! Wir vergiften uns viermal lieber mit Medikamenten, Chemikalien und Kosmetika als mit Pflanzen und Pilzen kombiniert. Ich habe mich noch nicht mal bemüht, Australiens Zahlen rauszusuchen.

Ich kann beruhigt aufhören, krampfhafte Vergleiche zu suchen. Natürlich schlägt Australien uns (und die meisten andern Länder) bei Weitem, was die Gefährlichkeit seiner Fauna und Flora betrifft. Das zeigt der Platypus, dessen Gift ernsthafte Schmerzen verursachen kann, wogegen das Gift unserer Wasserspitzmaus gerade mal für ganz leichte Hautreizungen reicht. Der australische Skorpion hat für seinen Schweizer Cousin gerade mal ein müdes Lächeln übrig. Die Zähne des Hechts mögen neben einem Hai nicht wirklich beeindrucken und beim Duell zwischen Brennnesseln, muss man die australische noch nicht mal anfassen. Ein blosser Aufenthalt in ihrer Nähe reicht für unangenehme Wirkungen. Ja, auch Kängurus verursachen jährlich ein paar Todesfälle. Allerdings nicht, weil sie uns zu Tode kicken oder mit ihren messerscharfen Krallen aufschlitzen, sondern weil sie auf die Strasse hüpfen und Verkehrsunfälle verursachen. Auch in dieser Disziplin scheint das Schweizer Pendant, das Wild, zu unterliegen. Und natürlich ist es auch Australien, welches das tödlichste aller Tiere überhaupt, die Würfelqualle, beheimatet.

Es fällt mir leicht, dies unseren Freunden auf der anderen Seite der Welt zuzugestehen. Einerseits, weil wir viel entspannter durchs Gelände spazieren oder ins Wasser springen können. Andererseits weil mich die Statistik zwei wichtige Dinge lehrte.

Erstens: Gemäss Todeszahlen ist das Tier, welches in Australien die meisten Menschen tötet, weder Schlange noch Qualle – es ist das Pferd.

Und zweitens: Die Natur ist kein Massstab für die Gefährlichkeit eines Landes.

Und dies bringt die Schweiz wieder an die Spitze! In beiden Ländern ist nämlich die häufigste Todesursache, welche nicht durch Krankheit oder Suizid verursacht wird, der Tod durch einen Sturz. Und – tataaa! – in der Schweiz sind die Zahlen vergleichsweise höher! «Klar doch, wir haben die Berge!», werdet ihr jetzt triumphierend aufschreien. Immerhin ist Wandern die gefährlichste Schweizer Sportart. Aber die 40 Wandertoten und ein paar abgestürzte Bergsteiger pro Jahr reichen für eine imposante Statistik nicht aus – und könnte je nach Touristenaufkommen auf dem Uluru konkurrenziert werden. Selbst wenn ich unsere weltweite Führung bei den Todesfällen beim Basejumping dazu nehme, komme ich nicht weiter (meiner Meinung nach ist Basejumping aber sowieso der Kategorie Selbstmord und nicht Unfall zuzuordnen).

Nein, die Berge sind es nicht. Das Gefährlichste für uns Schweizer ist die Treppe! Wir stolpern nämlich nicht nur über unsere Haustiere, sondern sehr viel öfter, vor allem gefährlicher, die Treppe hinunter. 25’000 (registrierte) Treppenstürze pro Jahr verlaufen 1’650-mal tödlich. Buchstäblich fallen in der Schweiz also mehr Leute einer Treppe zum Opfer als weltweit den Krokodilen (1’000), Elefanten (100) und Haien (10) zusammen. Die Australier fallen vergleichsweise weit weniger häufig auf Treppen zu Tode, was wohl an der flacheren Bauweise liegt, und vermögen es so nicht, ihre Todeszahl durch Stürze mit derjenigen der Schweiz zu messen.

Meine Behauptung war also richtig: Der Aufenthalt in der Schweiz ist gefährlicher als in Australien. Nur ist die Treppe wenig medienwirksam und auch der australische Tourist wird sich in der Schweiz kaum ein T-Shirt kaufen mit der Aufschrift «I went down some Swiss stairs and I survived!»

Und so werden wir uns auch weiterhin nicht vor Treppen fürchten, sondern vor Schlangen, Spinnen, Haien, Skorpionen und dem Stadtzürcher Velofahrer.