Rote Wangen; Augen, die heller leuchten als die selbstgeschnitzten Lichtlein. Singende Kinder in der Dunkelheit, welche nur vom Flackern der Räbeliechtli, die an ihren Händen baumeln, durchbrochen wird.

Ein wunderbares Bild aus meiner Kindheit, an welches ich mich so gerne erinnere. Heute, nach 30 Jahren, durfte ich endlich mein eigenes Kind zu seinem ersten Räbeliechtli-Umzug begleiten. Meine Vorfreude überstieg wahrscheinlich diejenige meiner Tochter. Sie wusste ja nicht, was auf sie zukommen würde. Sie wusste nicht um die Romantik dieses speziellen Novemberabends; um die Kälte draussen und die Wärme im Herzen, wenn man mit den Lichtern in der Hand durch die Stassen zieht, inmitten der anderen Kinder, die genauso aus vollem Herzen singen, wie man selbst: „Räbeliechtli, Räbeliechtli, wo bisch du?“

Heute, diesmal als erwachsene Zuschauerin, stellte ich mir genau diese Frage: „Wo zum Teufel sind sie denn, diese verdammten Räbeliechtli?“ Ich wusste, dass sie da waren. Immerhin hatte ich mit einem davon meine Tochter vor mir hergescheucht, als wir zum Startpunkt des Umzugs hetzten, weil ich sie nach einem Tag voller Sitzungen vom Hort abholen und noch verpflegen musste. Ich hatte ihr sogar das Kerzlein angeknipst (ja, heutzutage knipst man). Aber jetzt, als wir ankamen, sah ich vor lauter erwachsenen Begleitpersonen die Kinder kaum, geschweige denn die dezent leuchtenden Räbeliechtli, deren Licht immer wieder überblendet wurde von den Blitzen der Kameras, den leuchtenden Displays der Smartphones und den unglaublich grellen LED-Taschen- und Stirnlampen, welche mir meine erleuchteten Mitläufer zu Hauf voll direkt in die Augen scheinen liessen. Als die Kinder endlich in der Zweierreihe ausgerichtet waren und die Prozession losgehen konnte, machten zwar die Meisten die künstlichen Lichter aus, es blieben aber die knalligen, hellroten Leuchten der Feuerwehrleute, welche den Umzug begleiteten.

RaebeliechtliInmitten einer Traube plappernder Leute ziehen wir den Kindern hinterher – und bekommen so rein gar nichts mit von Licht und Gesang. Beim Abbiegen auf die Dorfstrasse erhasche ich endlich einen Blick auf die Räbeliechtli. Sie werden im nächsten Moment von den Scheinwerfern eines Autos neutralisiert. Wie kann ich die Romantik noch retten? Vielleicht, wenn ich die Prozession überhole und die Kinder an mir vorbeiziehen lasse… Ich gehe auf die Strasse, um meinen Plan umzusetzen. „Zurück auf den Gehsteig!“ herrscht mich ein Feuerwehrmann an und fuchtelt mit seinem Leuchtstab vor meinem Gesicht herum. Mein zweiter Ausbruchversuch klappt. Ich warte in einer möglichst dunklen Ecke und lasse die Kinder an mir vorbeiziehen. Ich blende die Leuchtstäbe aus und auch den Feierabendverkehr mit seinen Scheinwerfern. Ich konzentriere mich voll auf den Gesang der Kinder und die hübschen Lichter, die ihnen von den Armen baumeln. Da endlich kommt sie, die Romantik. „Chchrrrchchchrrchr… unverständliches Gebrabbel…. chchrrrchchr“ krächzt es aus dem Walkie Talkie des ausgeblendeten Feuerwehrmanns neben mir. Herausgerissen aus der hart erarbeiteten Besinnlichkeit, befand ich mich wieder im Volllicht der Handys, der Autos, der Feuerwehrmänner.

Wenigstens die Kälte war wie früher. Und wer weiss, vielleicht erlebte meine Tochter inmitten der anderen Kinder mit ihrem Räbeliechtli genau das, was ich heute so misste. Ihre Wangen jedenfalls waren rot und ihre Augen leuchteten.