Heute Morgen fuhr ich nach Zürich und wunderte mich, warum ich mich in den letzten paar Wochen so gestresst gefühlt hatte. Ich war soeben dabei, den Zug zu verpassen, sollte ich mich nicht etwas mehr beeilen, als ich im Radio hörte, dass laut einer Amerikanischen Studie Zürich die schnellste Stadt der Welt ist. Dies heisst, dass wir durchschnittlich die schnellsten Fussgänger und die zügigsten Warteschlangen haben. Nun ja, kein Wunder fühlte ich mich so gestresst. Stellt euch vor sich mitten unter diesen Leuten zu bewegen. Natürlich könnte man langsamer gehen, allerdings läuft man da Gefahr, von einem Turbo-Fussgänger überrannt zu werden.

Unglücklicherweise sind wir in der Schweiz nicht mit viel Platz beschert. Was macht man also? Sich anpassen und selbst ein Raketen-Fussgänger werden. Sie haben herausgefunden, dass in Bern zum Beispiel die Leute länger anstehen, weil die Verkäuferin sich Zeit nimmt für die Kunden und es vielleicht sogar zu einem kleinen Schwätzchen reicht. In Zürich ist dies schlichtweg unmöglich. Selbst wenn du eine Person in Schwatzlaune finden solltest (was selbst bereits ein Ding der Unmöglichkeit ist), würden es die Leute hinter dir bestimmt nicht schätzen, von deiner kranken Katze zu hören, oder was auch immer die Verkäuferin unbedingt wissen möchte. Und auch wenn Zürcher nicht sehr gesprächig sind und nie jemanden auf der Strasse ansprechen würden, würden sie dich in diesem Moment bestimmt wissen lassen, dass sie in Eile sind – und sei es nur mit einem lauten Schnauben.

Offensichtlich, so wurde es im Radio berichtet, sind Zürcher nicht fähig, abzuschalten. Sie haben Stress in ihren Jobs und übertragen dies auf alles, was sie tun. Also können sie die durch die Hetzerei gewonnene Zeit nicht als Freizeit geniessen. Sie müssen dieses Loch mit etwas anderm füllen, haben dadurch mehr zu tun und werden nur noch gehetzter. Um die Zürcher aus diesem Teufelskreis zu befreien, meinte ein satirisches Magazin, eine Volksinitiative müsse lanciert werden, in der eine Steuer auf gewonnene Zeit gefordert wird, ähnlich der Gewinnsteuer.

Nun, da ich unbedingt den ganzen Beitrag im Radio hören wollte, hatte ich in der Zwischenzeit den Zug verpasst. Da ich wusste, dass der nächste erst in einer halben Stunde fährt, konnte ich in meine Wohnung gehen und meinen Laptop holen, welchen ich nun im Zug benutze und Zeit spare, weil ich diesen Artikel jetzt schreiben kann anstatt später. Und da gibt es Leute, die denken, du könntest keine Zeit gewinnen indem du langsamer gehst! Natürlich komme ich zu spät zu meinem Termin, aber der ist nicht in Zürich – also, keine Eile…